Weihnachten 2024

Einige Gedanken zu einem historischen Weihnachtsmotiv

Der Originaltitel dieses Fotos von 1931 lautet:

„Eine schöne Weihnachtssitte hat sich in Berlin am Weihnachts-Heiligabend eingebürgert, das Beschenken der Verkehrsschutzleute durch Automobilisten.
Ein Berliner Verkehrs-Polizist an einer Strassenkreuzung Berlins mit seinem Gabentisch.“

Ein historisches Bild dokumentiert immer eine Geschichte – meist sogar mehrere. Und diese Geschichten erzählen oft davon, wie sich die Welt verändert. Wie Veränderung vielleicht kurzfristig für Chaos und auch Unglück sorgt – langfristig aber eine positive Entwicklung in Gang bringen kann. Oder umgekehrt. So auch bei dem Bild des Weihnachtspolizisten:

Mitmenschlichkeit und Nostalgie – Früher war es besser! Oder?

Man könnte hier nostalgisch werden und interpretieren, dass die Menschen früher freundlicher waren und mehr aufeinander geachtet haben. Aber stimmt das wirklich?

Berlin hatte damals 4,3 Millionen Einwohner und knapp 100.000 Kraftfahrzeuge, davon 44.000 Autos inkl. Taxen, 17.000 LKW und 34.000 Motorräder. Heute leben in der Stadt weniger Menschen (rund 3,8 Millionen), dafür gibt es deutlich mehr Fahrzeuge: allein rund 1,5 Millionen PKW! 1931 regelten 361 Polizisten den Verkehr und 76 arbeiteten in der Verkehrsüberwachung – wahrscheinlich kannten die Automobilisten tatsächlich „ihre“ Polizisten an den großen Kreuzungen auf ihren täglichen Strecken persönlich. Heute sind 3.600 Polizistinnen und Polizisten im Bereich Verkehr eingesetzt und den Verkehr regeln 2.000 Ampeln – aber wer schenkt schon einer Ampel ein Weihnachtspäckchen?

Übrigens: Die erste Ampel Deutschlands wurde 1924 in Betrieb genommen – der Verkehrsturm am Potsdamer Platz in Berlin.

Vernichtet Fortschritt Arbeitsplätze?

Man könnte argumentieren: Technik vernichtet Arbeitsplätze – schließlich wurden die 361 Polizisten auf den Kreuzungen Berlins durch Ampeln ersetzt. Aber das ist schon auf den ersten Blick falsch: Immerhin sind aus den 400 Verkehrspolizisten von damals heute 3.600 geworden.

Andererseits: 1931 fuhren in Berlin 9.000 Autodroschken und 150 Pferdedroschken. 1905 sah das noch anders aus: 245 Kraftdroschken standen 7.500 Pferdedroschken gegenüber. Innerhalb einer Generation hatte sich also eine gesamte Branche quasi in Luft aufgelöst. Pferdedroschken bedeutete nicht nur Pferde, Kutschen und Kutscher; in der Branche arbeiteten auch Pferdeknechte, Beschäftigte in Pferdezucht und -medizin, Hufschmiede, dazu Straßenreinigung und Futtermittelerzeugung sowie – nicht zu vergessen – die Menschen in den zahlreichen Pferdemetzgereien. Pferde wurden im gesamten Transportwesen ersetzt, nicht nur im Taxi-Verkehr. Innerhalb weniger Jahre gingen hier allein in Berlin zehntausende Arbeitsplätze verloren. Heute werden Pferde nicht mehr als Arbeitstiere eingesetzt, sondern in sehr viel geringerer Zahl nahezu ausschließlich für Sport- und Freizeitzwecke.

Sind hier also Arbeitsplätze vernichtet worden? Ja, sehr viele. Hätte man das ändern können? Historisch gesehen kann der Staat wirtschaftliche Prozesse, wie den Siegeszug des Autos, in gewissem Maße lenken und bremsen – aber aufhalten kann er ihn nicht. Das attraktivere Angebot wird sich durchsetzen. War es schlimm, dass die Arbeitsplätze der Pferdewirtschaft verloren gingen? Für die einzelnen Menschen und ihre Familien war es sicherlich eine Katastrophe, volkswirtschaftlich schuf das Automobil mehr Arbeitsplätze als es vernichtete – trotz aller Probleme, die das Automobil verursacht hat.

Trotzdem bleibt die positive Aussage des Motivs bestehen und ist trotz aller Historik zeitlos: Wertschätzung der Menschen, die in unserem täglichen Leben wichtige Arbeit leisten.

Bilder:
Polizist: Bundesarchiv, Bild 102-12847 / CC-BY-SA 3.0
Ampel: Willy Pragher, 1927, CC 3.0
Droschke: Bundesarchiv, Bild 146-1998-022-36 / Hoffmann, Herbert / CC-BY-SA 3.0
Zahlen und Statistiken
Berlin in Zahlen. Kleines Berliner Taschenbuch. Ausgabe 1930.
Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin. 30. Jahrgang, enthaltend die Statistik des Jahres 1905 (und zum Teil auch 1906). Berlin 1907.
Sowie diverse Statistiken der Stadt Berlin aus 2022 bis 2024.
Screenshot aus der Fresenius-App, die anlässlich des 100-jährigen Jubiläums entwickelt wurde.

Ein aussterbender Beruf: Pferdedroschken vor dem Stettiner Bahnhof, 1924.

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