Von Mainz nach München, Weinglas gegen Bierkrug für die Karriere. Eine Archivarin berichtet.

In der heutigen Zeit ist es nicht weiter erstaunlich für das Studium oder den Job umzuziehen, trotzdem fiel mir der Schritt vergleichsweise schwer. Nachdem ich mein Geschichtsstudium an der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität abgeschlossen hatte, zog ich im November 2018 nach München, frei nach dem Motto: man geht dorthin, wo man Arbeit findet. Ganz so negativ empfand ich diese Veränderung jedoch nicht, da München insgeheim schon von klein auf die Stadt meiner Träume war. Mainz war im Laufe meiner Studienzeit mein Zuhause geworden, jetzt war München das Mekka meiner beruflichen Zukunft. Nach einer zweiwöchigen Hospitanz bei Neumann & Kamp Historische Projekte wurde mir im August 2018 eine Stelle als Archiv-Volontärin angeboten. Damit war der Jackpot für mich perfekt: ein erfolgreich abgeschlossenes Studium, ein Folge-Job im Bereich meines Studiums und eine Stelle in der Stadt meiner Träume. Ich wagte also den großen Schritt von Rheinland-Pfalz nach Bayern. Damit fiel eine große Last von meinen Schultern (welcher Hochschulabsolvent kennt die nicht?) und nahm allen Skeptikern den Wind aus den Segeln, die mich und meine Studiums-/Berufswahl belächelt haben.

„Du studierst Geschichte? Was machst du später dann damit?“

Jeder Geschichtsstudent1 wird diese Frage im Lauf des Studiums schon einmal gehört haben. Oft fällt eine Antwort darauf nicht so leicht, denn das Berufsfeld von Historikern ist nicht nur breit gefächert, sondern die Geschichtswissenschaft ist für viele Außenstehende noch immer unzugänglich und unverständlich. Von der Arbeit in der Forschung über die Museumspädagogik bis zu einer Tätigkeit in der Archivwelt ist mit unserem Abschluss alles – und nichts – möglich. Es kommt, wie immer, auf die richtigen Chancen, persönliche Motivation und Fleiß an. Zunächst einmal war auch ich ratlos, wie man mit einem Geschichtsabschluss in der Berufswelt Fuß fassen könnte und auch die Kommilitonen aus den höheren Semestern schienen darauf keine klare Antwort zu haben. Ein vierwöchiges Praktikum im Stadtarchiv Rüsselsheim eröffnete mir schließlich die Welt des Archivwesens, die während meines Geschichtsstudiums – wenn überhaupt – nur am Rande thematisiert wurde.

„Du bist Archivarin? Was machst du damit und ist das nicht langweilig, allein im Keller zu sitzen?“

Kaum wusste ich, was ich mit meinem Geschichtsabschluss anfangen wollte, wurde mir klar, dass die Archivwelt noch mehr Fragen hervorrief, als die Geschichtswissenschaft. Ich möchte versuchen, diese Fragen in drei Beiträgen zu beantworten und damit nicht nur inspirieren, über den Tellerrand des Geschichtsstudiums hinauszublicken, sondern womöglich auch anderen Archivanwärtern Antwortmöglichkeiten für die nächste Familienfeier geben. Irgendein Fest steht immer vor der Tür!

Neben den persönlichen Ambitionen, Karriere im Archivwesen zu machen, möchte ich auch über die Tätigkeiten und Strukturen im Archivalltag berichten:

 

1. Archivarten

  • Wirtschafts- und Unternehmensarchive
  • (Herrschafts-) und Familienarchive
  • Kommunalarchive
  • Landes- und Staatsarchive (= staatliche Einrichtungen)
  • Kirchenarchive
  • Medienarchive
  • Verbands- und Parteiarchive

Da ich als Archivarin bei Neumann & Kamp für Archivdienstleistungen für Unternehmen und für Privatpersonen zuständig bin, wird der Fokus des Beitrags sich ausschließlich auf diesen Zweig der Archivtypen beschränken. Die grundlegenden Aufgaben eines Archivars (dazu mehr in Beitrag 2) unterscheiden sich in den einzelnen Archivarten zwar nicht übermäßig, doch jede Fachgruppe hat eigene Schwerpunkte, denen sich der beauftragte Archivar zu widmen hat. Die Archivarbeit in Unternehmensarchiven ist vielseitig, denn als Dienstleister begleiten wir unseren Kunden von der Erstberatung und -sichtung, über die Zielsetzung und Gestaltung bis hin zur dauerhaften Betreuung und Pflege des Archivs. Darüber hinaus sind wir auch für bereits bestehende Unternehmensarchive tätig, in denen es Verzeichnungsrückstände aufzuholen und den täglichen Archivbetrieb zu sichern gilt. Im Rahmen meiner Tätigkeit arbeite ich daher in und mit den unterschiedlichsten Archivformen und -zuständen, was die Arbeit abwechslungsreich hält und keine Langweile aufkommen lässt (Stichwort: Stereotypen, Beitrag 3).

Unternehmen sind, im Gegensatz zu staatlichen Einrichtungen, nicht dazu verpflichtet, nach Ablauf der vorgeschriebenen Aufbewahrungspflichten zu archivieren. Dies führt in vielen Unternehmen dazu, dass eine allgemeingültige Abgaberichtlinie zur Abgabe von Dokumenten an das Unternehmensarchiv fehlt oder intern nicht bekannt ist. Hierdurch kann es häufig zu Lücken in der Überlieferung kommen. Ihren Ursprung haben Unternehmensarchive oft in dem Wunsch der Verantwortlichen, die Unternehmensgeschichte zu rekonstruieren bzw. die Dokumentation einer solchen Darstellung gewährleisten zu können. Für mich ist es ein großer Motivationsfaktor, Unternehmen darin zu unterstützen, ihre Historie aufzuarbeiten, sich dieser bewusst zu werden und sie beispielsweise für „History Marketing“ nutzen zu können. Um der eigenen Unternehmensgeschichte eine Basis zu verleihen, werden Schriftgut, Bilder, Tonträger o. ä. oft ohne Systematik gesammelt und in unterschiedlich ausgeprägter Form aufbewahrt.

Häufig ist der physische Grundstein des Archivs ein leeres Büro oder ein Keller, in dem Aktenordner aufbewahrt werden, nachdem die Unterlagen im täglichen Geschäftsbetrieb nicht mehr benötigt werden und die Fristaufbewahrung abgelaufen ist. Sobald Akten nicht länger gebraucht werden, verstauben sie zunächst in den Büroregalen, bis sie entweder weggeworfen oder in das „Archiv“ gebracht werden. Ergänzt wird dieses häufig auch durch Abgaben, wenn ein Mitarbeiter in den Ruhestand geht – dessen „Erbe“ wird dann zum „Archivbestand“ hinzugefügt. Dass ein richtiges Archiv aber aus mehr als lediglich einem Kellerabteil mit Aktenordnern besteht, wird den Kunden häufig aber erst nach unserer gemeinsamen Sichtung bewusst. Dies macht mir persönlich deutlich wie wichtig unsere Arbeit und die Kommunikation dieser ist. Der erste Schritt eines jeden Archivars ist demnach, sich zuallererst einmal ein Bild über die Inhalte des Archivs zu machen. Je nach Vorstellung des Kunden wird dann eine Strategie erarbeitet. Von dem Ziel bzw. der Idee eines „vollständigen Archivs“ muss der Kunde sich meist gleich zu Beginn wieder verabschieden, da ein Archiv am ehesten mit einem organischen Prozess vergleichbar ist: es wächst in einem aktiven Unternehmen immerzu und bedarf daher stetiger Pflege. Dennoch müssen bereits für die Ausarbeitung eines ersten Konzepts grundlegende Fragen erörtert werden: Was soll gesammelt werden? Was soll durch das Archiv gewährleistet sein und worin besteht sein Zweck? Geht es lediglich um die Historie oder sind auch aktuellere Vorgänge wichtig? Sowohl bei Konzeption als auch bei der Beantwortung dieser Fragen stehen wir unseren Auftraggeber beratend zur Seite, denn aufgrund des in der Regel fremden Themengebiets „Archiv“ ist unsere Expertise für unsere Kunden unerlässlich. Sind alle grundsätzlichen Fragen geklärt, u. a. die Finanzierung des Projekts, geht es an die Arbeit, frei nach dem Motto: „ran an den Speck“.

Mehr zu den Aufgaben eines Archivars im kommenden Beitrag.

 

München, Januar 2019

1. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

 


image/svg+xml