Warum Firmengeschichte?

Seit 17 Jahren schreiben wir Unternehmensgeschichten, mehr als 200 Projekte haben wir bereits realisiert. Mit vorliegendem Post eröffnen wir den Neumann & Kamp-Blog, der über abgeschlossene und zukünftige Projekte informieren soll, über Methoden unserer Arbeit sowie über Ideen für Geschichtsschreibung und Archivarbeit. Regelmäßig – wir planen einmal pro Monat – werden wir hier Texte präsentieren, in denen wir verschiedene Aspekte unserer Arbeit reflektieren.

Welchen Nutzen hat Geschichte überhaupt für eine Firma?

Diese grundsätzliche Frage wird uns immer wieder gestellt. Wir greifen hier Antworten heraus, die auf die meisten Unternehmen zutreffen.

Unternehmensgeschichte schafft Identität.

Unternehmen sind komplexe Gebilde mit gewachsenen Strukturen, oft mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit einer großen Anzahl an Kundenkontakten und einer breitaufgefächerten Produktpalette. Zu wissen, woher man kommt, wie die Anfänge des Unternehmens aussahen und wie sich alles entwickelt hat – das trägt ohne Frage dazu bei, die Komplexität herleiten zu können und damit besser zu verstehen. Zugleich wird eine gemeinsame Identität geschaffen. Aus dem Wissen um die Geschichte entsteht ein gewisser Stolz. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können stolz sein auf die Erfolge der Firma.

Unternehmensgeschichte schafft ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Interessant ist, dass Unternehmensgeschichte mehrfach funktioniert. Geschichte kann beispielsweise eine Gemeinschaft bilden: Wir sind ein Team, bestehend nicht nur aus der heutigen Belegschaft, sondern darüber hinaus aus früheren Kolleginnen und Kollegen seit der Gründergeneration. Die Unternehmensgeschichte bildet das übergeordnete Ganze ab, das alle Mitwirkenden gemeinsam geschaffen haben. Geschichte wird zu einem Teil der internen Kommunikation untereinander, mit ihr schafft und pflegt man die Unternehmenskultur.

Unternehmensgeschichte zeigt Qualität.

Geschichte wirkt auch in der Kommunikation nach außen: Das Unternehmen präsentiert seine Erfolgsgeschichte, auf die es zu Recht stolz ist. Ein Hausgerätehersteller, der seit vielen Jahrzehnten Staubsauger erfolgreich weiterentwickelt, und das mittels Historie aufzeigt, kann seinen Kundinnen und Kunden glaubhaft vermitteln, auch heute auf dem neuesten Stand der Technik zu sein.

Unternehmensgeschichte als Zeichen für Verantwortung.

Erfolge und die Nachhaltigkeit von Erfolgen stehen im Zentrum einer Firmengeschichte. Doch es ist genauso wichtig, auch problematische Aspekte der Geschichte zu recherchieren und offen anzusprechen. Hierbei kann es sich um Krisenzeiten, gescheiterte Produkte oder Phasen von Missmanagement handeln. Auch die Firmengeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus zählt dazu. Unsere Erfahrung ist: Es ist gut, mit Problemen in der Vergangenheit offen umzugehen. Man zeigt Verantwortung und moralische Integrität. Ein Unternehmen, das sich den Problemen stellt und sie auch gemeistert hat, erweist sich als entwicklungsfähig und vertrauenswürdig.

Dieser Beitrag soll ein erster Gedankenanstoß zum Thema Firmengeschichte sein. In späteren Blogbeiträgen werden wir viele Aspekte unserer Arbeit im Detail betrachten. Wie gesagt: ein erster Aufschlag, wir freuen uns auf Kommentare.

Michael Kamp (kamp.michael@historische-projekte.de) und Matthias Georgi (georgi.matthias@historische-projekte.de)

Zu den Bildern: Auch Neumann & Kamp hat schon eine beachtliche Firmengeschichte. Hier ein Blick in unsere Vergangenheit: Im Jahr 2008 haben wir für das Münchner Unternehmen Rohde & Schwarz die Geschichte recherchiert und eine Chronik verfasst. Das Unternehmen ließ „ihre“ Historiker für das Mitarbeitermagazin „inside“ portraitieren. Michael Kamp und Matthias Georgi haben damals das Projekt gemeinsam durchgeführt und sind hier bei der Arbeit zu sehen.

München, Januar 2019

 


Von Mainz nach München, Weinglas gegen Bierkrug für die Karriere. Eine Archivarin berichtet.

In der heutigen Zeit ist es nicht weiter erstaunlich für das Studium oder den Job umzuziehen, trotzdem fiel mir der Schritt vergleichsweise schwer. Nachdem ich mein Geschichtsstudium an der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität abgeschlossen hatte, zog ich im November 2018 nach München, frei nach dem Motto: man geht dorthin, wo man Arbeit findet. Ganz so negativ empfand ich diese Veränderung jedoch nicht, da München insgeheim schon von klein auf die Stadt meiner Träume war. Mainz war im Laufe meiner Studienzeit mein Zuhause geworden, jetzt war München das Mekka meiner beruflichen Zukunft. Nach einer zweiwöchigen Hospitanz bei Neumann & Kamp Historische Projekte wurde mir im August 2018 eine Stelle als Archiv-Volontärin angeboten. Damit war der Jackpot für mich perfekt: ein erfolgreich abgeschlossenes Studium, ein Folge-Job im Bereich meines Studiums und eine Stelle in der Stadt meiner Träume. Ich wagte also den großen Schritt von Rheinland-Pfalz nach Bayern. Damit fiel eine große Last von meinen Schultern (welcher Hochschulabsolvent kennt die nicht?) und nahm allen Skeptikern den Wind aus den Segeln, die mich und meine Studiums-/Berufswahl belächelt haben.

„Du studierst Geschichte? Was machst du später dann damit?“

Jeder Geschichtsstudent1 wird diese Frage im Lauf des Studiums schon einmal gehört haben. Oft fällt eine Antwort darauf nicht so leicht, denn das Berufsfeld von Historikern ist nicht nur breit gefächert, sondern die Geschichtswissenschaft ist für viele Außenstehende noch immer unzugänglich und unverständlich. Von der Arbeit in der Forschung über die Museumspädagogik bis zu einer Tätigkeit in der Archivwelt ist mit unserem Abschluss alles – und nichts – möglich. Es kommt, wie immer, auf die richtigen Chancen, persönliche Motivation und Fleiß an. Zunächst einmal war auch ich ratlos, wie man mit einem Geschichtsabschluss in der Berufswelt Fuß fassen könnte und auch die Kommilitonen aus den höheren Semestern schienen darauf keine klare Antwort zu haben. Ein vierwöchiges Praktikum im Stadtarchiv Rüsselsheim eröffnete mir schließlich die Welt des Archivwesens, die während meines Geschichtsstudiums – wenn überhaupt – nur am Rande thematisiert wurde.

„Du bist Archivarin? Was machst du damit und ist das nicht langweilig, allein im Keller zu sitzen?“

Kaum wusste ich, was ich mit meinem Geschichtsabschluss anfangen wollte, wurde mir klar, dass die Archivwelt noch mehr Fragen hervorrief, als die Geschichtswissenschaft. Ich möchte versuchen, diese Fragen in drei Beiträgen zu beantworten und damit nicht nur inspirieren, über den Tellerrand des Geschichtsstudiums hinauszublicken, sondern womöglich auch anderen Archivanwärtern Antwortmöglichkeiten für die nächste Familienfeier geben. Irgendein Fest steht immer vor der Tür!

Neben den persönlichen Ambitionen, Karriere im Archivwesen zu machen, möchte ich auch über die Tätigkeiten und Strukturen im Archivalltag berichten:

 

1. Archivarten

  • Wirtschafts- und Unternehmensarchive
  • (Herrschafts-) und Familienarchive
  • Kommunalarchive
  • Landes- und Staatsarchive (= staatliche Einrichtungen)
  • Kirchenarchive
  • Medienarchive
  • Verbands- und Parteiarchive

Da ich als Archivarin bei Neumann & Kamp für Archivdienstleistungen für Unternehmen und für Privatpersonen zuständig bin, wird der Fokus des Beitrags sich ausschließlich auf diesen Zweig der Archivtypen beschränken. Die grundlegenden Aufgaben eines Archivars (dazu mehr in Beitrag 2) unterscheiden sich in den einzelnen Archivarten zwar nicht übermäßig, doch jede Fachgruppe hat eigene Schwerpunkte, denen sich der beauftragte Archivar zu widmen hat. Die Archivarbeit in Unternehmensarchiven ist vielseitig, denn als Dienstleister begleiten wir unseren Kunden von der Erstberatung und -sichtung, über die Zielsetzung und Gestaltung bis hin zur dauerhaften Betreuung und Pflege des Archivs. Darüber hinaus sind wir auch für bereits bestehende Unternehmensarchive tätig, in denen es Verzeichnungsrückstände aufzuholen und den täglichen Archivbetrieb zu sichern gilt. Im Rahmen meiner Tätigkeit arbeite ich daher in und mit den unterschiedlichsten Archivformen und -zuständen, was die Arbeit abwechslungsreich hält und keine Langweile aufkommen lässt (Stichwort: Stereotypen, Beitrag 3).

Unternehmen sind, im Gegensatz zu staatlichen Einrichtungen, nicht dazu verpflichtet, nach Ablauf der vorgeschriebenen Aufbewahrungspflichten zu archivieren. Dies führt in vielen Unternehmen dazu, dass eine allgemeingültige Abgaberichtlinie zur Abgabe von Dokumenten an das Unternehmensarchiv fehlt oder intern nicht bekannt ist. Hierdurch kann es häufig zu Lücken in der Überlieferung kommen. Ihren Ursprung haben Unternehmensarchive oft in dem Wunsch der Verantwortlichen, die Unternehmensgeschichte zu rekonstruieren bzw. die Dokumentation einer solchen Darstellung gewährleisten zu können. Für mich ist es ein großer Motivationsfaktor, Unternehmen darin zu unterstützen, ihre Historie aufzuarbeiten, sich dieser bewusst zu werden und sie beispielsweise für „History Marketing“ nutzen zu können. Um der eigenen Unternehmensgeschichte eine Basis zu verleihen, werden Schriftgut, Bilder, Tonträger o. ä. oft ohne Systematik gesammelt und in unterschiedlich ausgeprägter Form aufbewahrt.

Häufig ist der physische Grundstein des Archivs ein leeres Büro oder ein Keller, in dem Aktenordner aufbewahrt werden, nachdem die Unterlagen im täglichen Geschäftsbetrieb nicht mehr benötigt werden und die Fristaufbewahrung abgelaufen ist. Sobald Akten nicht länger gebraucht werden, verstauben sie zunächst in den Büroregalen, bis sie entweder weggeworfen oder in das „Archiv“ gebracht werden. Ergänzt wird dieses häufig auch durch Abgaben, wenn ein Mitarbeiter in den Ruhestand geht – dessen „Erbe“ wird dann zum „Archivbestand“ hinzugefügt. Dass ein richtiges Archiv aber aus mehr als lediglich einem Kellerabteil mit Aktenordnern besteht, wird den Kunden häufig aber erst nach unserer gemeinsamen Sichtung bewusst. Dies macht mir persönlich deutlich wie wichtig unsere Arbeit und die Kommunikation dieser ist. Der erste Schritt eines jeden Archivars ist demnach, sich zuallererst einmal ein Bild über die Inhalte des Archivs zu machen. Je nach Vorstellung des Kunden wird dann eine Strategie erarbeitet. Von dem Ziel bzw. der Idee eines „vollständigen Archivs“ muss der Kunde sich meist gleich zu Beginn wieder verabschieden, da ein Archiv am ehesten mit einem organischen Prozess vergleichbar ist: es wächst in einem aktiven Unternehmen immerzu und bedarf daher stetiger Pflege. Dennoch müssen bereits für die Ausarbeitung eines ersten Konzepts grundlegende Fragen erörtert werden: Was soll gesammelt werden? Was soll durch das Archiv gewährleistet sein und worin besteht sein Zweck? Geht es lediglich um die Historie oder sind auch aktuellere Vorgänge wichtig? Sowohl bei Konzeption als auch bei der Beantwortung dieser Fragen stehen wir unseren Auftraggeber beratend zur Seite, denn aufgrund des in der Regel fremden Themengebiets „Archiv“ ist unsere Expertise für unsere Kunden unerlässlich. Sind alle grundsätzlichen Fragen geklärt, u. a. die Finanzierung des Projekts, geht es an die Arbeit, frei nach dem Motto: „ran an den Speck“.

Mehr zu den Aufgaben eines Archivars im kommenden Beitrag.

 

München, Januar 2019

1. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.

 


Von Mainz nach München, Weinglas gegen Bierkrug für die Karriere. Eine Archivarin berichtet. Teil 2.

Im ersten Teil meines Beitrags „Von Mainz nach München, Weinglas gegen Bierkrug für die Karriere. Eine Archivarin berichtet.“ ging es um die unterschiedlichen Archivarten, mit Fokus auf den Zweig der Unternehmensarchive. Wie bereits in Teil 1 erwähnt, unterscheiden sich die grundlegenden Aufgaben der Archivare nicht übermäßig, variieren jedoch je nach Tätigkeitsbereich. Eine Auswahl dieser Aufgaben soll in diesem Beitrag vorgestellt werden.

Aufgaben eines Archivars

Mit der steigenden Bedeutung der Digitalisierung, hat sich auch das Aufgabenfeld eines Archivars in den letzten Jahren erweitert. Kernaufgaben sind nach wie vor das Sichten und die Bewertung von Unterlagen, das Kassieren (= salopp: wegwerfen), die Verzeichnung und die Instandhaltung des Archivmagazins (= der Raum, in dem die analogen Unterlagen verwahrt werden). Erweitert haben sich die Aufgaben im Hinblick auf die digitalen Bestände und die Retrodigitalisierung. Die Akten und Materialien kommen inzwischen vermehrt als „digital born data“, also als bereits im Geschäftsbetrieb digital entstandene elektronische Datensätze, im Archiv an, bedürfen jedoch der gleichen Behandlung: Sichtung, Bewertung und Verzeichnung. Um für analoge Unterlagen einen besseren Zugriff zu gewährleisten bzw. besonders wertvolle Stücke bei ständiger Nutzung zu schützen, werden außerdem viele Akten retrodigitalisiert. Die Menge an digital verfügbaren Informationen steigt somit zunehmend. Im Folgenden nun eine Erläuterung der einzelnen Tätigkeiten:

Sichtung

Die Sichtung analoger vs. digitaler Archivbestände unterscheidet sich in der Vorgehensweise zwar kaum, doch der Arbeitsaufwand kann erheblich schwanken. Keine Frage: ein analoges Archiv kann aus unglaublich viel Papier bestehen, dessen Durchsicht eine Menge Aufwand erfordert. Dennoch sind Kopien analoger Akten von den Originalen vergleichsweise einfach zu unterscheiden, von denen meist zwei bis drei Exemplare aufgehoben werden können, der Rest wird kassiert. In der digitalen Welt ist nicht nur die Unterscheidung von Kopien und Originalen sehr viel schwieriger, auch ihr Ursprung (= Herkunft, Abteilung, Übergabezeitpunkt) ist nachträglich manchmal schwerer nachvollziehbar. Hinzu kommen Formatprobleme – manche Dateien sind nach relativ kurzer Zeit schon nicht mehr zu öffnen, weil die entsprechenden Programme nicht mehr existieren und es Kompatibilitätsprobleme gibt.

Altes Archiv

Bewertung

Bei diesem Arbeitsschritt ist die wichtige Frage zu klären, was überhaupt archiviert werden soll. Die Bewertung erfolgt nach den mit dem jeweiligen Auftraggeber abgesprochenen Zielsetzungen, basierend auf allgemeinen und fachlich anerkannten Bewertungsgrundsätzen. Daher ist ein Archivkonzept in Abstimmung mit dem Kunden einer der wichtigsten Schritte. Auf diese Weise kann die Bewertung der Unterlagen (sowohl analog, als auch digital) in einem abgestimmten Rahmen vollzogen, Bestände gebildet und eine Bestandsgliederung (= Tektonik) herausgearbeitet werden. Einhergehend mit der Bewertung geht, wie oben genannt, auch das Kassieren.

Reinigung und Verpackung

Wellige oder schiefe LEITZ-Ordner, herausgerissene Seiten und Klarsichtfolie wohin das Auge reicht. Akten sind zwar geduldig, doch das Lagern in feuchten Kellern oder auf zugigen Dachböden hinterlässt selbst auf den einst stabilsten Ordnern seine Spuren. Wasserschäden und Schimmel gehören zweifelsohne zum „worst case“, doch auch unscheinbare Schäden können große Wirkung auf den Erhaltungszustand der Materialien haben. Ein akutes Problem ist sowohl das wellige und brüchige Papier als auch die Rostschäden, die durch Tacker- und Büroklammern verursacht wurden. Folien mit Weichmachern kleben manchmal schon nach kurzer Zeit am Papier fest, altes Faxpapier ist nach wenigen Jahren schon nicht mehr lesbar und muss daher im Archivbetrieb auf „normales Papier“ kopiert werden. Beim Verpacken gilt
i. d. R.: ein Ordner = eine Archivakte. Das von Klammern, Folien o. ä. befreite Papier wird in säurefreie Archivmappen verpackt und die Informationen des einstigen Ordners auf die Mappe übertragen, auf diese Weise geht keinerlei Information verloren und die Materialien sind vor dem Verfall geschützt. Anders als bei den analogen Akten müssen elektronische Daten nicht mehr von rostigen Klammern befreit und aus ihren zerfallenen Ordnern befreit werden. Doch auch die digitalen Datensätze müssen „verpackt“ und wieder auffindbar sein. Die sogenannte Signatur gewährleistet den thematischen Zusammenhang der Digitalisate – mittels Signatur sind diese mit der Verzeichnung in der Archivdatenbank verknüpft. Bei digitalem Schriftgut ist es zudem ebenso wichtig, sicherzustellen, dass eine Änderung der Dateien (beispielsweise einer PDF-Datei) im Nachhinein nicht möglich wird. Das PDF/a-Format gewährleistet dieses sogenannte revisionssichere Dateiformat zum Beispiel für textuelle Dokumente.

Entfernen von Eisen und Rost

Verzeichnung

Die inhaltliche Erfassung ist meines Erachtens eine der zeitaufwendigsten und kniffligsten Aufgaben für einen Archivar. Die Verzeichnung muss einen Überblick über alles im Archiv Aufbewahrte enthalten und soll zudem detailliert sein, wobei Zeit- und Kostengründe einer hohen Verzeichnungstiefe meist entgegenstehen. Die Entscheidung wie detailliert verzeichnet werden sollte und muss, ist anfangs oftmals eine Schwierigkeit, die sich – wie alles andere auch – mit wachsender Routine einspielt. Ein Beispiel für die Bedeutung des richtigen Verzeichnens: In einem Archiv befinden sich ca. 400 Mitarbeiterzeitschriften. Eine Rechercheanfrage möchte Auskunft über alle Artikel bezüglich eines jährlichen Events erhalten. Mittels der Verzeichnung des Bestandes können wir im Idealfall nicht nur das Event per Suchfunktion finden, sondern dem Anfragenden auch Auskunft über weitere, im Archiv verfügbare Ausgaben geben.

Digitalisierung / Scannen

Scannen selbst ist erstmal kein technisches Hexenwerk, auch wenn die Verzeichnung der Scans (ganz wichtig!) in der Archivdatenbank zeitaufwendig ist. Wichtig ist vor allem das Format in dem die Digitalisate in Zukunft zur Verfügung stehen sollen. Neben revisionssicheren Dateiformaten (siehe Punkt Verpackung) ist es ebenso wichtig, ein gängiges und fachlich anerkanntes Dateiformat zu wählen. Von PDF/A-Dateien erhofft die Archivwelt sich, dass dieses Format auch in Zukunft noch gängig ist. Bei Fotodateien speichern wir grundsätzlich im TIFF-Format ab und versuchen JPEG-Formate zu vermeiden. In diesem Zusammenhang steht auch die Frage nach genügend Speicher- und Serverkapazität, die, angesichts des immer größer werdenden Umfangs digitaler Dateien, stetig erweitert werden muss. Die Sicherung von Mail-Verläufen, Sicherheitskopien, Back-Ups, die Vergabe von Zugangsrechten und das Problemfeld Datenschutz sind alltägliche, zeitaufwendige und noch immer nicht vollkommen ausgeklügelte Themen, die mit der Digitalisierung zusammenhängen. Die Tätigkeiten eines Archivars sind keineswegs so eintönig, wie sie oftmals dargestellt werden, dies sollte durch die obige Aufführung deutlich gemacht werden. Trotz differenzierter Erklärung der Tätigkeit, bleibt die Archivwelt für die Meisten jedoch nach wie vor fremd. Letztlich kommt es natürlich darauf an, dass die eigenen Erwartungen erfüllt werden und die Arbeit Spaß macht. Dennoch ist es immer wieder schön, Fragenden oder gar Skeptikern fundiert Rede und Antwort stehen zu können und Stereotypen zu entkräften.
Mehr dazu im dritten Teil „Stereotypen eines Archivars“, der im April online gestellt wird.

München, Februar 2019


Asterix, Maus, Prinz Eisenherz und Co.– Geschichte im Comic

Geschichte im Comic: kleine Auswahl an Comics mit Geschichtsbezug.

Gezeichnete Geschichte

Erfreulicherweise wächst in Deutschland mittlerweile das Angebot an Comics. Entsprechende Auslagen im Presseshop am Bahnhof fristen kein Nischendasein mehr. Auch die Einschätzung, dass es sich bei Comics in erster Linie um ein Medium für Kinder und Jugendliche handelt, das schlichte und oberflächliche Geschichten erzählt, scheint zu bröckeln.1 Vielen Comics lässt sich eine gewisse Belanglosigkeit – was nicht, so der „klassische“ Vorwurf gegen Comics, mit einer Verdummung der Leser gleichzusetzen ist – bescheinigen. Allerdings existieren genügend komplexe und anspruchsvolle Comics, die die verallgemeinernde Einschätzung widerlegen.2

Viele Comics transportieren auf unterschiedliche Art und Weise einen historischen Inhalt, mal vielschichtig, mal relativ simpel. Es sind gewissermaßen Geschichtscomics. Dazu eine kleine, unvollständige Auswahl: Die Universität Basel veröffentlichte zu ihrem 550. Geburtstag einen Comic – Unsere Universität –, der die Gründungsgeschichte der altehrwürdigen Hochschule erzählt. Die Allianz sponserte etwa zwanzig Jahre lang die Comicreihe Max und Luzie, in der die beiden namensgebenden Kinder gemeinsam mit einem chaotischen Erfinder durch die verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte reisen. In Alpha: Directions werden gleich mehrere Milliarden Jahre Geschichte höchst eindrucksvoll abgehandelt. Etwas weniger umfassend dafür umso witziger ist The Cartoon History of the Universe. Auch Comic-Biografien gibt es, etwa zu Johnny Cash oder Nick Cave. Doch was macht einen Comic zu einem Geschichtscomic? Reicht dafür das bloße Auftreten einer historischen Persönlichkeit, oder ist die Auseinandersetzung von Autor und Zeichner mit der historischen Materie ausschlaggebend für diese Kategorisierung? Hal Foster z. B., der Schöpfer von Prinz Eisenherz, stand in den vier Jahrzehnten, in denen er an dem Comic arbeitete, in ständigem Kontakt mit Forschern, um der Serie möglichst viel Authentizität zu verleihen.3

Arten von Geschichtscomics

Der Germanist und Historiker Bernd Dolle-Weinkauff schlägt eine Unterscheidung in drei Arten von Geschichtscomics vor. Als erste Gruppe nennt Dolle-Weinkauff Fiktionen, bei der Geschichte lediglich als Dekor genutzt wird. Berühmtestes Beispiel hierfür dürfte wohl der Gallier Asterix sein. Bei dessen Abenteuern werden historische Versatzstücke verwendet, die im Zusammenspiel mit Anachronismen, wie etwa im Stau stehende Touristenmassen, als „Gaglieferant“ dienen. Die zweite Gruppe umfasst Comics, die einen historisch dokumentarischen Anspruch besitzen, oft verbunden mit einer bestimmten Intention. Dazu zählt z. B. Art Spiegelmanns Maus, der den Holocaust und die Erinnerung daran dokumentiert. Spiegelmann: „I need to show the events and memory of the Holocaust without showing them. I want to show the masking of these events in their representation.“4

Die dritte Gruppe umfasst Comics, die in ihrem Stil historischen Romanen ähneln: Frei erfundene Geschichten werden in einer (pseudo-)historischen Epoche angesiedelt, wie beispielsweise der eingangs erwähnte Prinz Eisenherz von Hal Foster. Die Geschichte spielt hier im 5. Jahrhundert, obwohl das Setting eher dem Hochmittelalter entsprungen zu sein scheint. Natürlich ist dies nur eine von vielen Kategorisierungsversuchen und es existieren dabei keine festen Grenzen, dafür aber zahlreiche Mischformen.5

Komplexe Herausforderung

Comicautoren beziehungsweise -zeichner von historisierenden Comics stehen im Allgemeinen vor der Herausforderung, einen historischen Sachverhalt, der teilweise auch noch dem Leser bekannt ist, als geschlossene Geschichte zu präsentieren. Es geht also in der Regel nicht darum, neue historische Erkenntnisse zu vermitteln, sondern „Geschichte“ spannend zu erzählen. Schließlich soll ein Comic vor allem unterhalten. Die Bildungsfunktion ist meistens zweitrangig. Nichtsdestotrotz können Comics zur Verbreitung von historischen Kenntnissen beitragen und durchaus eine pädagogische Wirkung erzielen.6

Und sie funktionieren natürlich auch als unterhaltsames Werbemittel. Unternehmen können Geschichtscomics nutzen, um ihre Gründungsgeschichte, frühe Persönlichkeiten oder wichtigen Erfindungen zu präsentieren. Gestalterisch sind kaum Grenzen gesetzt.

Geschichte im Comic: Archis bei der Arbeit: Dr. Meal, Miss Birdie und Rasnag.

(Auch über die Arbeit von N&K-Archivaren lässt sich ein Comic gestalten.)

Geschichte in Wort und Bild

Wichtig: Der Leser muss sich in die erzählte Geschichte hineinversetzen können. Es geht nicht um das Wissen, um die Ereignisse, sondern um das Erleben der Ereignisse.7

Im Unterschied zur Geschichtsschreibung wird im Comic Geschichte in Bildern erklärt und umgesetzt, die keine authentische Wiedergabe der Vergangenheit, sondern visuelle Rekonstruktionen darstellen.8 Ein Comic „funktioniert“ durch das Zusammenwirken von Wort und Bild: Was das Bild nicht erklärt, wird durch Dialog und Text erklärt und umgekehrt. Davon abgesehen muss auch der Historiker, der in seiner Rekonstruktion der historischen Wirklichkeit dem Prinzip der Überprüfbarkeit gehorchen soll, auf fiktive Elemente zurückgreifen. Dafür kann der Historiker unklare Positionen konkreter benennen und kennzeichnen. Das ist im Comic nur schwierig umzusetzen. Der Comicautor ist mehr oder weniger dazu gezwungen, sich für eine Geschichtsinterpretation – die allerdings nicht der gängigen Meinung entsprechen muss – zu entscheiden. Gleichzeitig besteht natürlich die Gefahr, dass der ggf. von einem Comic vertretene Anspruch auf Authentizität nicht der historischen Wirklichkeit entspricht. Eine solche Täuschung muss nicht absichtlich geschehen. Denn eine historische Persönlichkeit lässt sich zwar relativ einfach abbilden, ihre Darstellung im historischen Kontext ist aber um ein Vielfaches schwieriger, da ihr Umgang darin prinzipiell unbekannt ist. Letztlich ist es allein dem Leser mit seinem jeweiligen kulturellen Hintergrund überlassen, wie er die in Text und Bild dargestellte Geschichte interpretiert. Er kann dabei die Möglichkeit zur nachträglichen und wiederholten Überprüfung nutzen, die ihm das Medium Comic bietet.9 Der Leser verzeiht einem Comic vielleicht auch eher eine historische Ungenauigkeit, als er es bei einem Film getan hätte.

von Tobias Birken
München, März 2019

Mehr zu dem Thema:

Stephan Ditschke: Comic als Literatur. Zur Etablierung des Comics im deutschsprachigen Feuilleton seit 2003, in: Daniel Stein, Katerina Kroucheva, Stephan Ditschke (Hg.): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums, Bielefeld 2009, S. 265–280.

Bernd Dolle-Weinkauff: Jugurthas zweiter Fall. Die Vermittlung von Geschichtsbildern über Bildergeschichten ist möglich, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, H. 20 (1986), S. 654–659. Gerald Munier: Geschichte im Comic. Aufklärung und Fiktion? Über Möglichkeiten und Grenzen des historisierenden Autorencomic der Gegenwart, Hannover 2000. Andreas Platthaus: Die 101 wichtigsten Fragen. Comics und Manga, München 2008. Stefan Wolfinger: Von Karl Marx bis Carl Barx. Comics und Geschichte, Wien 1999 ( = Neue Aspekte in Kultur- und Kommunikationswissenschaft, Bd. 15) James E. Young: The Holocaust as vicarious past: Spiegelman’s Maus and the afterimages of history, Critical Inquiry 24.

Anmerkungen

1) Vgl. dazu besonders Ditschke: Comic als Literatur, S. 265–280.

2) Vgl. Platthaus: Die 101 wichtigsten Fragen. Comics und Manga, S. 13 f.

3) Vgl. Munier: Geschichte im Comic, S. 18.

4) Young: The Holocaust as vicarious past, S. 687.

5) Dolle-Weinkauff: Jugurthas zweiter Fall, S. 654–659.

6) Vgl. Wolfinger: Von Marx bis Barx, S. 78.

7) Ebd., S. 74.

8) Ebd., S. 117.

9) Ebd., S. 73, S. 88.


Von Mainz nach München, Weinglas gegen Bierkrug für die Karriere. Eine Archivarin berichtet. Teil 3.

Archivar bei der Arbeit.

In der Hoffnung meine Motivation für das Berufsfeld des Archivars in Worte fassen und sowohl Familie als auch Freunden und Bekannten Rede und Antwort über meine Tätigkeit stehen zu können, ist dieser dreiteilige Blogeintrag mit dem Titel „Von Mainz nach München, Weinglas gegen Bierkrug für die Karriere. Eine Archivarin berichtet.“ entstanden (Teil 1 im Januar und Teil 2 in Februar 2019). Oftmals ist das Berufsfeld unbekannt, doch gewisse Vorurteile und Stereotypen verbinden viele Menschen mit den Worten: „Geschichtsstudent, Dokumente, Akten und Archiv“. Erläutert man kurz die berufliche Tätigkeit, bleibt bei vielen oft nur das hängen, was sie zuvor bereits über das Berufsfeld zu wissen glaubten: staubig, eintönig, kalte und dunkle Räumlichkeiten. Gern kommt dann ein salopper Spruch, wie: „Wenn du gern Ordner sortierst, kannst du gern auch mal bei mir zu Hause aufräumen.“ Dass es so leicht nicht ist, sollte inzwischen deutlich geworden sein, ein paar Antwortmöglichkeiten auf die gängigsten Stereotypen finden sich in diesem Beitrag.

Stereotype der Archivare:

„Archivare sind Einzelgänger und ihre Büroräume befinden sich im Keller.“

Auf dem Standort eines Archivs basieren die meisten Vorurteile gegenüber dem Berufsfeld, daher vorweg: nicht jedes Archivmagazin befindet sich im Keller. In Archiven finden sich nicht nur Papierstapel. Auch das ein oder andere Objekt findet den Weg ins Archiv. Je nachdem wie gut der Zustand der Räumlichkeiten ist (= stabile Böden, Schutz vor direkter Lichteinstrahlung, Lüftungsanlage etc.) können die Magazine auch überirdisch angelegt werden… man glaubt es kaum.

Als Archivar kommt man tatsächlich um das ein oder andere Kellerabteil nicht herum. So weit so gut. Für die Erhaltung der Archivalien sind lichtgeschützte und stetig temperierte Räumlichkeiten unabdingbar, dennoch sitzen und arbeiten die wenigsten Archivare ständig in diesen Archivmagazinen. Grundsätzlich empfehlen wir sogar, sowohl zum Schutz der Materialien als auch des Arbeitnehmers, das Archivmagazin und das Büro getrennt zu unterhalten.

Je nach Größenordnung des Archivs gibt es neben dem Archivar auch noch weitere Kollegen und Mitarbeiter. Besonders für Wirtschaftsarchivare ist der Kundenkontakt ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Berührungspunkte gibt es nicht nur mit Auftraggebern/Kunden, sondern auch mit den Mitarbeitern des zu betreuenden Unternehmens, die Unterlagen an das Archiv abgeben oder solche, die sich mit Suchanfragen an das Archiv wenden. Dieser Austausch macht wiederum die Kernaufgabe eines Archivs deutlich: Nutzbarkeit und Transparenz.

„Archivare arbeiten mit staubigen Aktensammlungen, die keiner mehr braucht.“

Archivchaos
Staub und Spinnen – Der Graus eines jeden Archivars.

„Archivare arbeiten mit staubigen Aktensammlungen, die keiner mehr braucht“ – Diese Aussage ist ein Klassiker unter den Stereotypen und beinhaltet eines der häufigsten Missverständnisse, mit denen sich Archivare konfrontiert sehen. Zunächst einmal: nicht jede Archivalie in einem Archivmagazin ist uralt und staubig. Archive bewahren Akten auf, die im alltäglichen Geschäftsgebrauch nicht mehr benötigt werden, die jedoch weiterhin eine Bedeutung für Geschichte und Selbstverständnis des Unternehmens behalten.

Hier zu nennen sind beispielsweise Marketingunterlagen der vergangenen Jahrzehnte, Kataloge und Broschüren, Akten der Rechtsabteilung und vieles mehr. Besonders für die Rechtsabteilung ist das Archiv immer auch eine Art Versicherung, mit der ehemalige Vorgänge, wie zum Beispiel Patentverhandlungen, nachvollzogen werden können. Im Archiv lagern daher – im Idealfall – nur die Bestände, die archivwürdig sind und die das zuvor gesteckte Ziel des Unternehmensarchivs unterstützen.

„Scannen geht doch schnell und kostet kaum Zeit!“

Das Thema Digitalisierung ist zwar ein äußerst wichtiges Thema, in der Archivwelt ist es aber noch nicht flächendeckend angekommen. Das mag an mangelnden Kenntnissen liegen, ist jedoch häufiger eine Frage der finanziellen und personellen Gegebenheiten eines Archivs. Klar ist: die Digitalisierung von Beständen ist nicht nur kosten-, sondern auch zeitintensiv. Die Erstellung und Speicherung von Scans haben im Archivbetrieb unterschiedlichen Nutzen. Zum einen stellen sie digitale Sicherungskopien dar, schützt die analogen Originaldateien und vereinfacht die Zugänglichkeit und Nutzung des Inhalts der Akte/des Fotos. Besonders in großen Unternehmensarchiven kommen die Bestände inzwischen gehäuft als „digital born data“ an. Sie liegen also nur noch digital und nicht notgedrungen analog vor. Diese Datensätze, ebenso wie die gescannten Bestände, müssen auf dem Server gespeichert, einer Signatur zugeordnet und im Idealfall in die Datenbank übertragen werden. Das kostet sehr viel Zeit, denn mit copy/paste ist es nur selten getan, denn es gilt: digitalisieren heißt nicht einfach speichern!

„Archivarbeit, ist das nicht super langweilig?“

Der Beruf der Archivare wird noch immer mit Langeweile, Staub und Eigenbrötelei verbunden. Die Definition von Langeweile liegt jedoch – wie immer – im Auge des Betrachters. Ich persönlich schätze die Kombination aus Team- und Einzelarbeit sehr, mag geregelte und strukturiere Prozesse und arbeite gerne gewisse Aufgaben unabhängig ab. Als Archivar gilt es Gegensätze zu überwinden und vermeintliche Grenzen aufzuweichen: aufbewahren vs. kassieren, Einzelarbeit vs. Kundenkontakt, Archivarbeit vs. Öffentlichkeitsarbeit. Besonders in Wirtschaftsunternehmen ist der Archivar stark in die Kommunikation des Unternehmens miteinbezogen und kommt so auch in den Genuss, das Archiv einem größeren Publikum vorzustellen, etwa in Form eines Newsblog-Eintrages oder im Rahmen eines Beitrages in der Mitarbeiterzeitschrift des Unternehmens. Wie vielfältig mein Beruf ist, hängt auch viel von dem persönlichen Engagement ab, angefangen bei der Auflösung von Stereotypen rund um das Archiv.

„So ein Archiv ist doch nur totes Papier, ohne Nutzen für das Unternehmen.“

BSH-Wiki Startseite
Archive richtig nutzen – etwa mit einem Online-Wiki.

Der Nutzen für das jeweilige Unternehmen ist vielseitig und hängt – wie so häufig schon angesprochen – mit der Zielsetzung des Unternehmens zusammen. Häufig wird das gesamte Archivprojekt durch ein anstehendes Firmenjubiläum angestoßen, anlässlich dessen das Unternehmen sich seiner Geschichte bewusst werden und diese nach außen hin präsentieren möchte. Damit zusammen hängt auch der Gedanke mit dem Archiv sogenanntes „History Marketing“ zu betrieben. Die Arbeit des Archivs kann daher sowohl Werbung für den Kunden sein als auch gleichzeitig den eigenen Fortbestand sichern. Je mehr Aufmerksamkeit das Archiv als Einrichtung bekommt – beispielsweise durch eine Vielzahl an (Recherche-) Anfragen –, desto größer ist auch die Reichweite der im Archiv lagernden Informationen, was wiederum Werbung für das Unternehmen selbst bedeutet.
Ein jedes Archiv hat einen Nutzen und ist im Nutzerinteresse ausgelegt. Archivaren geht es nicht um das Sammeln und Aufbewahren des Sammelns wegen, sondern die archivierten Bestände sollen aus ihrer Versenkung geholt und genutzt werden.

Sicherlich gibt es noch viele weitere wichtige Punkte zu allen Beitragsthemen der letzten Wochen. In meinem Blogeintrag ging es vermehrt um persönliche Eindrücke und Erfahrungen sowie um ein lockeres Umgehen mit Vorurteilen. Zum Glück hat nicht jeder Mensch die gleichen Interessen und zum Glück muss nicht jeder alles verstehen bzw. das Interesse für bestimmt Themengebiete teilen können. In der Hoffnung dennoch ein bisschen Licht ins Dunkel gebracht und Interesse am Archivwesen geweckt zu haben!


Auf nach Schweden – deutsche Wirtschaftsarchivare tagen in Stockholm

„Archive ohne Grenzen – Grenzen für Archive“ – 55. VdW-Arbeitstagung vom 5.–7.Mai 2019

Eine Nachlese

 

Großer Empfang im Goldenen Saal des Stockholmer Stadshus

Jährlich trifft sich die Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare zu ihrer großen Arbeitstagung. Meist fungiert eines der großen deutschen Unternehmensarchive als Gastgeber. Die 55. Tagung 2019 war anders geplant: Gastgeber war das Centrum för Näringslivshistoria (Zentrum für Unternehmensgeschichte) in Schweden und die deutschen Wirtschaftsarchivare machten sich auf nach Stockholm.

Traditionell beginnt die Tagung am Sonntagabend mit einem Empfang, diesmal im Goldenen Saal von Stockholms Stadshus, dem repräsentativen Sitz der Stadtregierung auf Kungsholmen. Die rund 100 aus Deutschland, Österreich und der Schweiz angereisten Archivarinnen und Archivare wurden von der Präsidentin des Stockholmer Stadtrats, Cecilia Brinck und dem Direktor des Zentrums für Unternehmensgeschichte, Alexander Husebye, im Goldenen Saal begrüßt.

100 Teilnehmer, das klingt viel, es waren allerdings deutlich weniger Teilnehmer als sonst, Auslandsreisen werden eben nicht so leicht bewilligt. Neumann & Kamp Historische Projekte war mit zwei Vertretern präsent, Thomas Forstner als neuer Leiter der Abteilung für Archivdienstleistungen und Christian Zech. Neumann & Kamp ist seit vielen Jahren Stammgast auf der VdW-Tagung. Wir treffen hier Kollegen und Kunden aus Unternehmensarchiven, nehmen an den aktuellen Fachdiskussionen bei den Vorträgen teil und können uns auf der angeschlossenen Fachmesse über neueste Entwicklungen der Archivausrüster (Hard- und Software) informieren.

Schwedische Streichhölzer

Der Montag begann mit einer Begrüßung durch den VdW-Vorsitzenden Martin L. Müller und den stellvertretenden deutschen Botschafter in Schweden, Manfred Schüler, in der ehemaligen Garnisonskirche auf Skeppsholmen. Inhaltlich wurde die Tagung mit einem kurzweiligen Vortrag des in Stockholm beheimatete deutschen Kulturjournalisten Thomas Steinfeld eröffnet. Seinfeld zeigte Schlaglichter aus der Geschichte der deutsch-schwedischen Wirtschaftsbeziehungen auf. Erwähnt sei hier nur die Kuriosität des Zündwarenmonopolgesetzes aus dem Jahr 1930, welches der Firma des schwedischen Industriellen Ivar Kreuger als Gegenleistung für einen 500-Millionen-Kredit an das Deutsche Reich bis in die 1980er Jahre das Monopol auf die Produktion und den Vertrieb von Streichhölzern im gesamten Deutschen Reich bzw. der Bundesrepublik Deutschland einräumte.

Spuren deutscher Kaufleute in schwedischen Archiven

Die erste Sektion der Tagung widmete sich vielfältigen Aspekten der deutsch-schwedischen Wirtschaftsbeziehungen von der frühen Neuzeit bis in die jüngste Vergangenheit. Heiko Droste (Stockholm) ging in seinem Vortrag den spärlichen Spuren deutscher Kaufleute der frühen Neuzeit in schwedischen Archiven nach. Diese sind tatsächlich im ganzen Ostseeraum so gut wie überhaupt nicht vorhanden. Die Aktivitäten der Kaufmannschaft und deren enge Vernetzung mit dem Hof und den politischen Eliten sind nur auf Umwegen zu rekonstruieren, was angesichts der großen Bedeutung des Commerciumsim 17. Jahrhundert – etwa auch bei der Kriegsfinanzierung – Rätsel aufgibt. Warum hinterließen frühneuzeitliche Kaufleute im Gegensatz zu Adelsfamilien keine Archive? Sind sie verloren gegangen oder wurden sie nie angelegt? Droste hat hierauf bislang keine Antwort.

Einen Sprung in das 20. Jahrhundert vollzog Tony Nilson (Älmhut) mit seinem Vortrag über die frühe Expansion des schwedischen Einrichtungsriesen IKEA. Bemerkenswert erscheint die rasante Entwicklung des Unternehmens, das 1958 in der schwedischen Provinz sein erstes, für damalige Verhältnisse sehr futuristisches Möbelhaus eröffnete.

Ein weiterer Vortrag von Anders Houltz (Bromma) ging auf die vielfältigen Quellen deutsch-schwedischer Wirtschaftsbeziehungen ein, die sich in den rund 70 Regalkilometern Archivalien (!) des Centrum för Näringslivshistoria finden lassen.

Benjamin Obermüller vom Archiv der Henkel AG & Co KGaA (Düsseldorf) gab einen auch kulturhistorisch reizvollen Einblick in die Frühzeit der Aktivitäten des Unternehmens Henkel in Schweden. Wie zuvor die deutsche Hausfrau, musste auch die schwedische das „richtige Waschen“ erst lernen und sich von althergebrachten Methoden wie der Anwendung von mit Birkenasche versetzter Kernseife lösen, wozu das Unternehmen in den 1930er Jahren eigene „Persil-Schulen“ einrichtete.

Kulturgüterschutz und Unternehmensarchive in internationalen Konzernen

In der zweiten Sektion beschäftigten sich die Tagungsteilnehmer mit den unterschiedlichen Modellen des Kulturgüterschutzes in Deutschland, der Schweiz und in Schweden. Andrea Hohmeyer (Hanau) gab zuerst anhand des Beispiels des Konzernarchivs von Evonik einen Einblick in den Weg, einzelne Archivbestände in das Verzeichnis national wertvoller Archive eintragen zu lassen und dadurch vor Vernichtung oder Verbringung ins Ausland (etwa im Falle von Mergers & Acquisitions) zu schützen. Dies ist seit der Novellierung des Kulturgüterschutzgesetzes 2016 möglich, die eine für die Archive sehr positive Aufhebung der bisherigen Trennung von Archiv- und Kulturgut mit sich brachte. Bisher haben 27 Unternehmensarchive von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Anschließend stellte Flavio Häner von der Fachstelle Kulturgüterschutz des Kantons Basel-Stadt die Entwicklung der Gesetzgebung zum Kulturgüterschutz in der Schweiz vor. Diese ist ganz auf den Schutz im Falle von Kriegshandlungen, Katastrophen und Naturereignissen ausgerichtet, beinhaltet anders als die deutsche Gesetzgebung aber keinen Eingriff in die Rechte der Eigentümer. Hieraus entspann sich eine durchaus lebhafte Diskussion, in welcher vor allem der Gegensatz zwischen einer libertären und einer paternalistischen Staatsauffassung deutlich wurde.

Im Anschluss daran ging der Vortrag von Lars Ilshammar (Königliche Bibliothek zur Stockholm) zum Thema „Business and other private archives within the Swedisch archival framework“ etwas unter.

DSGVO im Archivalltag

Den Arbeitstag beschloss eine von Prisca Straub (München) moderierte Podiumsdiskussion mit Teilnehmern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zum Thema „Ein Jahr DSGVO – Erfahrungen, Probleme, Perspektiven.“ Die Aufregung, die mit dem Inkrafttreten der DGVSO einherging, war weitgehend unbegründet. Hierüber herrschte weitgehend Einigkeit bei allen Diskutanten. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass Datenschutz nur für lebende Personen gilt, Archive es aber vorwiegend mit toten Personen zu tun haben – sieht man von den Benutzern ab. Gleichwohl bleibt es eine vorrangige Aufgabe v.a. der Wirtschaftsarchivarinnen und -archivare – die ja stets ohne staatlichen Auftrag bzw. ohne archivgesetzliche Grundlage operieren – nachzuweisen, dass ihr Handeln im öffentlichen Interesse ist. Dies kann – wie die Diskussion zeigte – auf vielfältige Weise geschehen.

Das schwedische Modell für Unternehmensarchive und Unternehmensgeschichte

„Zukunftsperspektiven der Wirtschaftsarchive und der Unternehmensgeschichte“ war die Podiumsdiskussion betitelt, die den zweiten Arbeitstag eröffnete. Zunächst aber gab der Leiter des Centrum för Näringslivshistoria, Alexander Husebye (Bromma), einen interessanten Einblick in die Geschichte und Entwicklung dieser Institution. Traditionelle Unternehmensarchive existieren in Schweden kaum. Das Centrum wurde 1974 als Public Private Partnership zwischen der Stadt Stockholm und der Handelskammer gegründet und ist als gemeinnütziger Mitgliederverein mit derzeit rund 340 Mitgliedsunternehmen organisiert. Unternehmen aus ganz Schweden lagern ihre Archivalien im Centrum ein, bleiben aber im Regelfall deren Eigentümer. 22 Archivarinnen und Archivare betreuen die Bestände von derzeit rund 7.000 Unternehmen. Sie werden dort nicht nur verzeichnet und verwahrt, sondern auch – etwa in Publikationen wie einer eigenen Zeitschrift – der Öffentlichkeit präsentiert. Die Verfügbarkeit für die Unternehmen bleibt stets gewährleistet. Überschüsse des Vereins (der Umsatz liegt bei rund 5,5 Mio Euro im Jahr) fließen in ein Forschungssekretariat, das eigenständige nichtkommerzielle Projekte durchführt und externe Forscher unterstützt.

Schätze des Centrum för Näringslivshistoria

Bei einer abschließenden Exkursion in das Centrum för Näringslivshistoria am Nachmittag des zweiten Tagungstages konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort in Bromma über dessen vielfältige Aktivitäten informieren. Die Stockholmer Kollegen öffneten ihre Archivkartons und zeigten einige der ihnen anvertrauten Schätze, darunter auch Sammlungsobjekte wie Teile aus Karl Lagerfelds erster Kollektion für den schwedischen Modekonzern H&M und Ericssons ersten Tablet-Computer, gewissermaßen ein Vorläufer des iPad.

 

Die nächste VdW-Tagung wird vom 24.-26. Mai 2020 bei der Deutschen Bank und Frankfurt/Main stattfinden.


Wenn Geschichte lebendig wird

Die Geschichte eines Lohnsteuerhilfevereins zu schreiben oder die Geschichte einer Baugenossenschaft – das klingt zunächst nicht unbedingt spannend. Wenn man sich jedoch in die alten Quellen vertieft, in handschriftlich verfasste Sitzungsprotokolle etwa oder vergilbte Schreibmaschinen-Durchschläge von Briefen, bekommt man einen ganz besonderen Zugang zu vergangenen Zeiten.

„Ein Heim für erwerbstätige Frauen und Mädchen“

So ließen die Recherchen zu der Chronik einer Baugenossenschaft die Stadt München in den 1920er-Jahren wiederauferstehen: Nicht nur Kunst und Kultur erlebten damals eine Blütezeit, auch die Baubranche boomte. In den Niederschriften der Aufsichtsratssitzungen des Bauvereins München-Haidhausen wurde die Planung, Finanzierung und Durchführung der damaligen Bauprojekte genau dokumentiert. Weil die handschriftliche Quelle in Sütterlin geschrieben ist, musste sie besonders genau gelesen und wichtige Teile transkribiert werden.

Die erste Seite des Protokolls der Gründungssitzung des Bauvereins München-Haidhausen vom 3. Februar 1919.

Ein Bauprojekt der Genossenschaft fiel aus dem Rahmen des Üblichen: Ein Heim für erwerbtätige Frauen und Mädchen, gebaut im Jahr 1925. Zu Beginn der Recherchen wussten wir Historiker nur, dass das Gebäude im Auftrag eines katholischen Vereins errichtet wurde. Dann fanden wir einen Namen: „Frau Amman“.

Eine unbekannte Heldin

Nachforschungen führten zu einer faszinierenden Frau, Ellen Ammann, einer deutsch-schwedischen Politikerin und katholischen Aktivistin. Das Wohnheim für arbeitende Frauen war nur eines von vielen Projekten, für die die sechsfache Mutter sich engagierte. Sie wurde 1919 in den Bayerischen Landtag gewählt und war eine erbitterte Gegnerin Adolf Hitlers. Sie gründete den katholischen Bayerischen Frauenbund Bayern und eine der ersten Ausbildungsstätten für soziale Arbeit in Deutschland.

Es gibt Literatur über Ellen Ammann, allerdings noch nicht viel. Zu den Spuren, die Ellen Ammann hinterlassen hat, gehörte eben auch die Erwähnung in den Protokollbüchern des Bauvereins München-Haidhausen. Und so sind wir auf diese spannende Frau gestoßen und sie wurde ein Teil unserer Geschichte, der Chronik einer Baugenossenschaft.

Wie durch die Lupe

„Mikrogeschichte“ faszinierte mich schon im Studium. Aus der genauen Betrachtung eines speziellen Ereignisses oder einer bestimmten Person lässt sich der Bogen zu den großen Erzählungen herstellen. Unsere Arbeit bei Neumann & Kamp besteht viel aus den kleinen Geschichten, aus dem Geschäftsalltag der Unternehmen oder Vereine, über die wir forschen und schreiben. Als Quellenmaterial steht uns oft ein Keller voller Dokumente zur Verfügung. So erschließen wir uns die Geschichte unserer Kunden Stück für Stück.

Gleichzeitig nehmen wir damit die Vergangenheit unter die Lupe – und entdecken immer wieder spannende Details. Für das Verständnis dieser Details ist es natürlich wichtig, sie im historischen Kontext zu betrachten. Aber manchmal ermöglichen sie umgekehrt einen ungewöhnlichen Blick auf diesen Kontext. Und dann wird Geschichte auf einmal lebendig: Auf der „Gänsewiese“ steht Ellen Ammann und betrachtet das eindrucksvolle dreiflügelige Gebäude, für „alleinstehende Frauen und Mädchen, die im Zusammenleben mit anderen Zusammenschluß und Rückhalt suchen ohne ihre Selbständigkeit aufgeben zu wollen“.

Lohnsteuerhilfe für alle

Einige Jahrzehnte später standen über 300 Menschen vor einem anderen Gebäude, einem unscheinbaren Büro in der Landsberger Straße. Auch diese Menschen begegneten uns bei einer historischen Recherche, diesmal zur Geschichte der Lohnsteuerhilfe Bayern e.V. Und sie wurden für mich zu einem anschaulichen Bild für die Aufbruchsstimmung der späten 1960er-Jahre, in der Tausende Gastarbeiter nach München kamen und die Stadt am Vorabend der Olympischen Sommerspiele 1972 ein modernes U- und S-Bahn-Netz bekam. Diese Gastarbeiter waren dringend auf die Beratung für die Steuerrückerstattung angewiesen – unter anderem deshalb wurde die Lohnsteuerhilfe Bayern gegründet.

Ein Gemälde als Werbung für die Lohi in den 1970er-Jahren.

Bisher begeisterte mich am Ende noch jedes historische Thema, über das ich geforscht und geschrieben habe (eine Ausnahme bilden hier vielleicht die Tagebücher von Joseph Goebbels). Und es sind gerade die kleinen Details und die Alltagsgeschichten, die die Vergangenheit zum Leben erwecken. Viele dieser Geschichten erscheinen uns heute fremd, andere wirken altbekannt und vertraut – und für mich enthalten sie vor allem diese Botschaft: Geschichte ist nicht langweilig, sie ist spannend und sie betrifft uns.

von Katharina Roth

München, Juni 2019


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