Von Mainz nach München, Weinglas gegen Bierkrug für die Karriere. Eine Archivarin berichtet. Teil 3.

Archivar bei der Arbeit.

In der Hoffnung meine Motivation für das Berufsfeld des Archivars in Worte fassen und sowohl Familie als auch Freunden und Bekannten Rede und Antwort über meine Tätigkeit stehen zu können, ist dieser dreiteilige Blogeintrag mit dem Titel „Von Mainz nach München, Weinglas gegen Bierkrug für die Karriere. Eine Archivarin berichtet.“ entstanden (Teil 1 im Januar und Teil 2 in Februar 2019). Oftmals ist das Berufsfeld unbekannt, doch gewisse Vorurteile und Stereotypen verbinden viele Menschen mit den Worten: „Geschichtsstudent, Dokumente, Akten und Archiv“. Erläutert man kurz die berufliche Tätigkeit, bleibt bei vielen oft nur das hängen, was sie zuvor bereits über das Berufsfeld zu wissen glaubten: staubig, eintönig, kalte und dunkle Räumlichkeiten. Gern kommt dann ein salopper Spruch, wie: „Wenn du gern Ordner sortierst, kannst du gern auch mal bei mir zu Hause aufräumen.“ Dass es so leicht nicht ist, sollte inzwischen deutlich geworden sein, ein paar Antwortmöglichkeiten auf die gängigsten Stereotypen finden sich in diesem Beitrag.

Stereotype der Archivare:

„Archivare sind Einzelgänger und ihre Büroräume befinden sich im Keller.“

Auf dem Standort eines Archivs basieren die meisten Vorurteile gegenüber dem Berufsfeld, daher vorweg: nicht jedes Archivmagazin befindet sich im Keller. In Archiven finden sich nicht nur Papierstapel. Auch das ein oder andere Objekt findet den Weg ins Archiv. Je nachdem wie gut der Zustand der Räumlichkeiten ist (= stabile Böden, Schutz vor direkter Lichteinstrahlung, Lüftungsanlage etc.) können die Magazine auch überirdisch angelegt werden… man glaubt es kaum.

Als Archivar kommt man tatsächlich um das ein oder andere Kellerabteil nicht herum. So weit so gut. Für die Erhaltung der Archivalien sind lichtgeschützte und stetig temperierte Räumlichkeiten unabdingbar, dennoch sitzen und arbeiten die wenigsten Archivare ständig in diesen Archivmagazinen. Grundsätzlich empfehlen wir sogar, sowohl zum Schutz der Materialien als auch des Arbeitnehmers, das Archivmagazin und das Büro getrennt zu unterhalten.

Je nach Größenordnung des Archivs gibt es neben dem Archivar auch noch weitere Kollegen und Mitarbeiter. Besonders für Wirtschaftsarchivare ist der Kundenkontakt ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Berührungspunkte gibt es nicht nur mit Auftraggebern/Kunden, sondern auch mit den Mitarbeitern des zu betreuenden Unternehmens, die Unterlagen an das Archiv abgeben oder solche, die sich mit Suchanfragen an das Archiv wenden. Dieser Austausch macht wiederum die Kernaufgabe eines Archivs deutlich: Nutzbarkeit und Transparenz.

„Archivare arbeiten mit staubigen Aktensammlungen, die keiner mehr braucht.“

Archivchaos
Staub und Spinnen – Der Graus eines jeden Archivars.

„Archivare arbeiten mit staubigen Aktensammlungen, die keiner mehr braucht“ – Diese Aussage ist ein Klassiker unter den Stereotypen und beinhaltet eines der häufigsten Missverständnisse, mit denen sich Archivare konfrontiert sehen. Zunächst einmal: nicht jede Archivalie in einem Archivmagazin ist uralt und staubig. Archive bewahren Akten auf, die im alltäglichen Geschäftsgebrauch nicht mehr benötigt werden, die jedoch weiterhin eine Bedeutung für Geschichte und Selbstverständnis des Unternehmens behalten.

Hier zu nennen sind beispielsweise Marketingunterlagen der vergangenen Jahrzehnte, Kataloge und Broschüren, Akten der Rechtsabteilung und vieles mehr. Besonders für die Rechtsabteilung ist das Archiv immer auch eine Art Versicherung, mit der ehemalige Vorgänge, wie zum Beispiel Patentverhandlungen, nachvollzogen werden können. Im Archiv lagern daher – im Idealfall – nur die Bestände, die archivwürdig sind und die das zuvor gesteckte Ziel des Unternehmensarchivs unterstützen.

„Scannen geht doch schnell und kostet kaum Zeit!“

Das Thema Digitalisierung ist zwar ein äußerst wichtiges Thema, in der Archivwelt ist es aber noch nicht flächendeckend angekommen. Das mag an mangelnden Kenntnissen liegen, ist jedoch häufiger eine Frage der finanziellen und personellen Gegebenheiten eines Archivs. Klar ist: die Digitalisierung von Beständen ist nicht nur kosten-, sondern auch zeitintensiv. Die Erstellung und Speicherung von Scans haben im Archivbetrieb unterschiedlichen Nutzen. Zum einen stellen sie digitale Sicherungskopien dar, schützt die analogen Originaldateien und vereinfacht die Zugänglichkeit und Nutzung des Inhalts der Akte/des Fotos. Besonders in großen Unternehmensarchiven kommen die Bestände inzwischen gehäuft als „digital born data“ an. Sie liegen also nur noch digital und nicht notgedrungen analog vor. Diese Datensätze, ebenso wie die gescannten Bestände, müssen auf dem Server gespeichert, einer Signatur zugeordnet und im Idealfall in die Datenbank übertragen werden. Das kostet sehr viel Zeit, denn mit copy/paste ist es nur selten getan, denn es gilt: digitalisieren heißt nicht einfach speichern!

„Archivarbeit, ist das nicht super langweilig?“

Der Beruf der Archivare wird noch immer mit Langeweile, Staub und Eigenbrötelei verbunden. Die Definition von Langeweile liegt jedoch – wie immer – im Auge des Betrachters. Ich persönlich schätze die Kombination aus Team- und Einzelarbeit sehr, mag geregelte und strukturiere Prozesse und arbeite gerne gewisse Aufgaben unabhängig ab. Als Archivar gilt es Gegensätze zu überwinden und vermeintliche Grenzen aufzuweichen: aufbewahren vs. kassieren, Einzelarbeit vs. Kundenkontakt, Archivarbeit vs. Öffentlichkeitsarbeit. Besonders in Wirtschaftsunternehmen ist der Archivar stark in die Kommunikation des Unternehmens miteinbezogen und kommt so auch in den Genuss, das Archiv einem größeren Publikum vorzustellen, etwa in Form eines Newsblog-Eintrages oder im Rahmen eines Beitrages in der Mitarbeiterzeitschrift des Unternehmens. Wie vielfältig mein Beruf ist, hängt auch viel von dem persönlichen Engagement ab, angefangen bei der Auflösung von Stereotypen rund um das Archiv.

„So ein Archiv ist doch nur totes Papier, ohne Nutzen für das Unternehmen.“

BSH-Wiki Startseite
Archive richtig nutzen – etwa mit einem Online-Wiki.

Der Nutzen für das jeweilige Unternehmen ist vielseitig und hängt – wie so häufig schon angesprochen – mit der Zielsetzung des Unternehmens zusammen. Häufig wird das gesamte Archivprojekt durch ein anstehendes Firmenjubiläum angestoßen, anlässlich dessen das Unternehmen sich seiner Geschichte bewusst werden und diese nach außen hin präsentieren möchte. Damit zusammen hängt auch der Gedanke mit dem Archiv sogenanntes „History Marketing“ zu betrieben. Die Arbeit des Archivs kann daher sowohl Werbung für den Kunden sein als auch gleichzeitig den eigenen Fortbestand sichern. Je mehr Aufmerksamkeit das Archiv als Einrichtung bekommt – beispielsweise durch eine Vielzahl an (Recherche-) Anfragen –, desto größer ist auch die Reichweite der im Archiv lagernden Informationen, was wiederum Werbung für das Unternehmen selbst bedeutet.
Ein jedes Archiv hat einen Nutzen und ist im Nutzerinteresse ausgelegt. Archivaren geht es nicht um das Sammeln und Aufbewahren des Sammelns wegen, sondern die archivierten Bestände sollen aus ihrer Versenkung geholt und genutzt werden.

Sicherlich gibt es noch viele weitere wichtige Punkte zu allen Beitragsthemen der letzten Wochen. In meinem Blogeintrag ging es vermehrt um persönliche Eindrücke und Erfahrungen sowie um ein lockeres Umgehen mit Vorurteilen. Zum Glück hat nicht jeder Mensch die gleichen Interessen und zum Glück muss nicht jeder alles verstehen bzw. das Interesse für bestimmt Themengebiete teilen können. In der Hoffnung dennoch ein bisschen Licht ins Dunkel gebracht und Interesse am Archivwesen geweckt zu haben!


image/svg+xml